Meet #Gideon

Oktober 2008

Im Herbst 2008 fand meine erste Reise nach Israel statt. Ich fuhr gemeinsam mit der Hamburgerin, die ich auf der Polenreise kennengelernt hatte. Sie heißt Regina und sie hatte damals auch den Kontakt zu Yitzhak hergestellt, über den ich schon berichtet habe.

Mit Regina sollte ich also zwei Wochen in Israel sein und auch viele der Überlebenden kennenlernen, die sie in Deutschland betreute, wenn diese dort Zeitzeugengespräche, in Schulen oder bei Veranstaltungen, gaben. In den nächsten „Meet´s“ werde ich über all diese hier berichten, gefolgt von jenen, die ich während meiner Volontärszeit betreut habe. Davon aber später mehr … . Jetzt erstmal zurück zu den Anfängen, nach Israel 2008.

An einem schönen Nachmittag waren wir bei Gideon eingeladen. Er empfing uns mit einem Lächeln an der Tür und zeigte uns seine Wohnung. In seinem gemütlichen Wohnzimmer nahmen wir dann Platz, wo er schon für unser Kommen etwas vorbereitet hatte. Mein Blick schweifte durch das Zimmer und ich kam nicht umhin, die vielen Eulen zu bemerken. Ich rätselte, ob er oder seine Frau eine Sammellust hatte oder ob es ein gemeinsames Hobby war. Das blieb jedoch bis zum Schluss ein ungelüftetes Geheimnis. Er erzählte von seiner Familie, von seinen Kindern und dem Leben in Israel. Seine Frau war leider schon verstorben und er nun alleine in der Wohnung. Er meinte: „Eine Zeitlang dachten wir, die Wohnung wäre viel zu klein, mit all den Kindern war sie sehr voll.“ Doch umgezogen waren sie dann letztendlich doch nicht, schließlich sind die Kinder nach und nach ausgezogen und als dann seine Frau starb, war die kleine Wohnung plötzlich doch wieder sehr groß.

Gideon erinnerte mich an meinen Großvater, der es auch liebte zu scherzen. So war auch er um keinen Witz verlegen und unterhielt uns fabelhaft. Er erzählte nur ein wenig aus der Zeit des Krieges, schließlich meinte er, ich könnte ja auch einfach sein Buch lesen, wenn ich wollte und überreichte mir eines seiner Bücher in englischer Sprache. Er signierte es auch für mich und schrieb eine Widmung hinein. Ich freute mich wahnsinnig darüber.

Nach einer gemütlichen Zeit in seinem Wohnzimmer lud uns Gideon noch zum Essen ein und wir gingen gemeinsam zu einem chinesischen Restaurant, das er besonders mochte. Er wählte mit Bedacht seinen Sitzplatz aus, immer mit Blick zur Tür. „Wisst ihr, seit meiner Zeit beim Militär habe ich das intus und bis heute habe ich gerne alles im Überblick. Man sitzt nie mit dem Rücken zur Tür, man muss immer sehen was auf einen zukommt, das ist sehr wichtig!“ , sagte der ehemalige Corporal Gene O´Brian, wie er während seiner Zeit beim Militär genannt wurde. Über all das sollte ich aber erst später lesen, zurück in Wien, als ich sein Buch aufschlug und eintauchte in seine Geschichte.

Hier ein kurzer Auszug aus seinem Vorwort:

„Wäre ich unter normalen Umständen aufgewachsen, hätte ich wahrscheinlich nie daran gedacht, über meine Jugendzeit zu schreiben. Beim Niederschreiben der folgenden Seiten wurden viele Erinnerungen in mir wach, einige davon hätte ich lieber in Vergessenheit gelassen. Nun aber bin ich froh, diese Erlebnisse von meiner innersten Seele zu überliefern.
Einige Episoden meiner Kindheit wurden von vielen anderen auch erlebt, die das Glück hatten, mit einem der Kindertransporte nach England gerettet zu werden. Andere Erinnerungen werden wohl von jenen Flüchtlingen geteilt, die sich, wie ich, freiwillig zur britischen Armee meldeten. So wie ich machten viele Teilnehmer der Kindertransporte das „Land unserer Väter“ auch zur Heimat unserer Kinder.
Auf meine jungen Jahre zurückblickend, dachte ich mit Bestürzung, dass ich eigentlich keinen großen Gegenwert für ein Leben voll harter Arbeit und Gefahren aufzuweisen habe, auf keinen Fall von der materiellen Seite aus gesehen. Doch wenn ich es genau überlege, wird mir doch mit Genugtuung klar, dass ich mehr zurücklasse, als mir beim Einzug in diese Welt mitgegeben wurde. Meinen Kindern hinterlasse ich Erinnerungen an eine glückliche Kindheit, zu der jedes Kind berechtigt ist und noch etwas, das ich nie hatte: ein eigenes Land! Eine Heimat!

Auszug der Vorbemerkung von Gideon Behrendt in seinem Buch: „Mit dem Kindertransport in die Freiheit: Vom jüdischen Flüchtling zum Corporal O’Brian“ in deutscher Sprache. Erschienen im Fischer Verlag 2015

Quellenverweis: Bilder aus „The Long Road Home“ von Gideon Behrendt,
Englische Auflage, Eigenverlag

Gideon habe ich nur sehr kurz kennengelernt, an einem warmen Herbstnachmittag in Netanja 2008. Er ist einige Zeit danach verstorben, wie mir berichtet wurde. Sein Buch steht noch immer bei mir im Regal und hat einen Ehrenplatz, wie die Erinnerung an dieses schöne Zusammentreffen.

© Sabine Bruckner

11 Gedanken zu “Meet #Gideon

    • Das Wohnzimmer war voll davon. Wie schon beschrieben, habe ich nicht rausgefunden ob er oder seine Frau die Sammelleidenschaft hatte und auch nicht warum gerade Eulen 😉 – ein ungelüftetes Geheimnis…
      LG, Sabine

    • My mother had a passion for owls… where ever my parents traveled, they would always pick at least one to bring home. Friends and family always had the perfect gift 🙂 The tiny apartment hosted more than 300 owls in all sizes, shapes and colors. Just not live ones (and not stuffed, either).

      • I’m very pleased to have this opportunity to meet not only Gideon but also his daughter. I find it interesting that there are relatively many people who collect owls, apparently very popular animals that stand for wisdom. Not many people are particularly wise, but at least we strive for it.
        With warm greetings from Vienna

      • Hi Elisheva, thats nice! Its also very good for Family and Friends – you always know what will work as a gift! 🙂 It was really a very charming appartment with all the owls and the great company of Gideon there. Lovely place, full of memories.
        Many greetings, Sabine

  1. Danke für die bewegende Schilderung – nicht nur von Gideon, sondern auch Deiner Haltung zu ihm. Es ist wichtig, diese Menschen und ihre Lebensläufe zu erfahren. Ihre Leben sind – wie jedes menschliche Leben – einmalig und des Interesses Wert, aber durch ihr Schicksal haben sie doch eine andere Dimension.
    Meine (sehr alte) Mutter hat mehr als 150 Eulen in ihrer Wohnung verschiedenster Aufmachung,und sie hätte noch viel mehr, wenn sie nicht eines Tages Stop! gesagt hätte.

  2. @ Elisheva: I’m very pleased to have this opportunity to meet not only Gideon but also his daughter. I find it interesting that there are relatively many people who collect owls, apparently very popular animals that stand for wisdom. Not many people are particularly wise, but at least we strive for it.
    With warm greetings from Vienna

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