Meet #Rachel

Wir schreiben das Jahr 2008 und ich befinde mich auf meiner ersten Israelreise. Einiges davon habe ich in meinen letzten #Meet Beiträgen schon berichtet und heute geht die Reise weiter.

Es war ein besonderer Tag, an dem wir Rachel besuchen sollten. Ein Tag, an dem das Land still stand. Es war für mich das erste Mal, diesen Feiertag in Israel zu erleben. Es war Jom Kippur, der Versöhnungstag. Schon einige Male habe ich darüber berichtet. An diesem meinen ersten Jom Kippur hatten wir zwei Besuche geplant. Der erste davon führte uns zu Rachel. Wir spazierten durch die Straßen, die sonst übervoll mit Autos waren und nun leergefegt und gefüllt mit Menschen, die durch diese zogen. Die Hunde waren ohne Leine unterwegs und konnten an diesem Tag frei laufen, wohin sie wollten. Es hatte etwas Friedliches, Ruhiges und Freude lag in der Luft.

Wir kamen bei Rachel an und sie öffnete strahlend die Tür und plauderte wild drauf los. Sie freute sich sehr, uns zu sehen und bereitete uns einen Kaffee zu. Sehr offen und direkt fragte sie mich, ob ich bemerkt hätte, dass sie ein Holzbein hat. Es war mir tatsächlich nicht gleich aufgefallen. Für sie war es der einschneidendste Tag ihres Lebens, als sie mit 16 Jahren, durch eine Bombe, ihr Bein verlor. Sie berichtete, wie sie unter Schock stand, als sie hinuntersah und da fehlte plötzlich ihr Bein. Sie hatte wie viele Menschen viel verloren im Krieg. Zusätzlich musste sie sich mit einer anfangs noch spärlichen Prothese durchschlagen und das alles in ihrem jungen Alter. Dann holte sie eine Zeitschrift und erzählte uns ganz stolz von einem Artikel darin. Auf der Seite abgebildet waren sie und ein Mann.

1946 immigrierte sie nach Israel und kam mit einem Schiff aus Belgien. Auf diesem Schiff gab es eine Gruppe Kinder, die großteils Waisen waren, wie der kleine Eli, der unter ihnen war, damals 5 Jahre alt. Er hatte seine Eltern in Ausschwitz verloren und war auf sich allein gestellt. Rachel, die die ältere unter diesen Kindern war, kümmerte sich um sie. Später machte sich Eli auf die Suche nach der Frau, die ihm so geholfen hatte. Leider wusste er keinen Namen und schon gar nicht, wo sie zu finden war. Es hat lange gedauert, bis er über einen pensionierten Beamten, der sich an das Mädchen mit dem Holzbein erinnern konnte, eine Telefonnummer bekam und einen Namen. Er nahm Kontakt auf und es gab ein Wiedersehen, nach 57 Jahren! Was für ein Wiedersehen das war. Rachel hätte nie gedacht den kleinen blonden Jungen mit den blauen Augen jemals wieder zu sehen. Die Freude war unbeschreiblich.

Wir verbrachten einige Stunden mit Rachel, bevor wir aufbrechen mussten. Was für eine lebensfrohe Frau sie war, sie beeindruckte mich sehr. Leicht hatte sie es bestimmt nicht, aber sie hat sich nie unterkriegen lassen.

Sie sagte: „Es geht immer weiter, wenn auch nur mit einem Bein.“

Eine Inspiration, müsste ich ein Wort für diesen Besuch finden. Ein besonderer Tag und eine sehr besondere Frau. Bald waren wir auf dem Weg zu Regina und Zvi. Darüber aber ein andermal mehr.

© Sabine Bruckner

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