… auch „Zewa Adom“ genannt, heißt es dieser Tage allerorts in Israel. Nicht nur im Süden in der unmittelbaren Nähe des Gazastreifens, wo der Raketenalarm mittlerweile zum alltäglichen Leben gehört, sondern auch in den Metropolen, Tel Aviv, Haifa und ebenso hier bei uns in Jerusalem, ertönen in den letzten Tagen die Sirenen.
Dieser Tage treffen wir uns hinter Türen, die man sich lieber verschlossen und unbenutzt wünscht – die Türen zu unseren Bunkern. Deshalb heute mal ein kleiner Einblick in meine Erlebnisse während Code RED in Jerusalem.
Meinen ersten Alarm, der keine Übung war, hörte ich 2012 bei der letzten Gaza Offensive. Damals war es der erste Alarm seit vielen Jahren in der Hauptstadt Israels und die Leute konnten es nicht fassen. Niemand rechnete damit, dass auf Jerusalem geschossen werden würde, da die arabische Bevölkerung hier einen wesentlichen Anteil ausmacht und man dachte, die Gefahr ihre eigenen Stätten am Tempelberg und ihre Brüder zu treffen, würde sie davon abhalten. Dies war wohl ein Irrtum.
Ich erinnere mich als ich den ersten Alarm hörte. Wobei man vielleicht erwähnen sollte, dass ich den ersten Alarm in Jerusalem überhörte, da ich gerade Musik über meine Kopfhörer genoss und mir dadurch die ganze Aktion entgangen ist. Also war es eigentlich der zweite Alarm, der mein erster Alarm werden sollte, den ich miterlebte. Ich saß gerade beim Mittagessen, als die Sirenen ertönten. Es geht einem durch Mark und Bein, wenn plötzlich der Alarm ertönt. Es erscheint unwirklich, dass in diesem Moment eine Rakete – oder mehrere – auf dem Weg sind und es jetzt Zeit ist loszulaufen. Ich begann also innerlich zu zählen – da ich wusste, wir haben hier ca. 90 Sekunden bis zum Einschlag, und machte mich auf dem Weg. Dann gehen einem viele Fragen durch den Kopf… was nimmt man noch mit, was lässt man da – soll man die Tür vielleicht zusperren, vielleicht nicht? … doch noch Schuhe anziehen – oder nicht? … und ab ins Treppenhaus. Dort traf ich dann schon die Nachbarin mit Baby auf dem Arm. Der Bunkerraum war verschlossen… wer auch immer dafür zuständig war, war nicht da und so blieben wir im Treppenhaus stehen und tratschten ein bisschen, während wir die empfohlenen 10 Minuten abwarteten und gingen wieder zurück in unsere Wohnungen.
Kommen wir also zu den neuesten Begebenheiten. Aufgrund meiner Erfahrungen von 2012 wusste ich nun schon, wie man sich zu verhalten hat und wie sich der Fliegeralarm anhört. Wenn man aber zum ersten Mal in der Situation ist, können einen schon mal die Nerven verlassen.
Jerusalem, 08.07.2014
Ich saß gerade mit „D“ gemütlich in der Jaffastraße beim „Holy Bagel“. „D“ ist eine Freundin aus Deutschland, die öfters für einige Wochen in Israel ist. Wir unterhielten uns angeregt und beobachteten die vorbeilaufenden Menschen und genossen die angenehme Abendluft, als plötzlich der Code RED ertönte. In einem Moment standen alle auf und liefen, mehr oder weniger schnell, in die umliegenden Gebäude. Wir flohen also ins Innere des „Holy Bagel“. Dabei rannte „D“ wie vom Blitz getroffen noch fast die Israelis über den Haufen. Im Inneren standen wir mit weiteren Passanten und die Straße leerte sich schnell. Dabei musste ich feststellen, das das „Holy Bagel“ ein denkbar schlechter Platz war, um Schutz zu suchen, da es dort eine Unmenge an Spiegeln usw. gab, also ein prächtiger Ort zu sterben. Wir warteten … die Straße war nun beinahe leer – einzelne Gestalten stellten sich mitten auf die Straße, mit einem zum Himmel gerichteten Smartphone in der Hand, um die ersten Livebilder zu drehen – no comment 😉
Einige Sekunden später – ein entfernter „BOOM“ und die Leute gingen wieder ihres Weges. Nachdem die Sache vorbei war, fragte ich „D“, warum sie dermaßen schnell losgelaufen ist … dabei meinte sie: „Naja, wir haben ja nur 15 Sekunden!“ Dann war es mir klar – sie hatte die Zeit mit Sderot verwechselt. Diese haben nur 15 Sekunden um Schutz zu suchen, in Jerusalem sind es aber 90 Sekunden – was erheblich mehr ist. So erlebte „D“ ihren ersten Code Red und ich das Ganze, das erste Mal an einem belebten Ort – beeindruckend und erschreckend zugleich.
Jerusalem, 10.07.2014
Schon 2012 habe ich darüber nachgedacht, was wohl die ungünstigsten Situationen sind, in denen es einen Alarm geben kann. Dabei waren die Top-Kandidaten – bei einer Sitzung auf dem Klo, beim Kochen, während des Sex und unter der Dusche.
Irgendwann musste es nun auch mich treffen. Ich kam also grad aus der Dusche, da klopfte „M“ an meine Tür. Sie ist die neue Volontärin und war erst vor ein paar Tagen angekommen. Sie hatte den ersten Alarm überhört und auch für sie war es eine neue Situation. Sie klopfte also an meine Tür und ich fragte mich noch, was sie genau jetzt von mir will… „Duuu, ist das ein Fliegeralarm?“ … einmal genau hinhören … „JAAA!!“ – ok – los und auf in den Bunker … einziges Problem, ich war nass und nackt! Die Zeit läuft … sollte ich so wie ich war in den Bunker laufen … oder doch schnell was anziehen? … Doch schnell was anziehen! – Turbo Geschwindigkeit … „M“ vom Vorraum aus: „Duuu, soll ich auf dich warten?“ … NEIN!! geh in den Bunker bitte! … sollen wir beide sterben, weil ich grade nackt bin? – Wohl kaum! – Also noch schnell das Nötigste übergeworfen und in den Bunker geflitzt. Einige der Nachbarn waren schon da, ich zu spät und tropfend.
So hat „M“ ihren ersten Alarm erlebt und ich weiß es, was es bedeutet, wenn ein Alptraum Wirklichkeit wird 😀
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In der Zwischenzeit hatten wir einen weiteren Code Red, der weniger spektakulär war. „M“ erwischt es jedes Mal, wenn sie gerade beim Kochen ist und überhaupt: Man sitzt selten da und wartet gerade auf einen Alarm. Wir können uns hier glücklich schätzen, dass es verhältnismäßig wenige Code Red´s gibt und der „Iron Dome“ hervorragend arbeitet. Die Menschen im Süden schlafen im Bunker und was es für sie heißt diese Tage, ist selbst für mich hier kaum vorstellbar. In Tel Aviv gibt es bereits eine kleine Initiative von Leuten, die sich mit Galgenhumor über Wasser halten und Selfis im Bunker machen – zu meiner Freude, sah ich einige nass und tropfend ins Handtuch eingewickelt im Bunker stehen – ich bin also nicht die einzige, die es so erwischt hat 😉
Wer weiß, wie oft wir uns noch in den nächsten Tagen hinter den Bunkertüren treffen werden, aber ich hoffe, dass wir bald wieder in Ruhe und Frieden leben können ohne aufspringen zu müssen, um uns vor Raketen in Sicherheit zu bringen.
© Sabine Bruckner
Bestimmt sehr tiefe Erfahrungen, die du da gesammelt hast! Es bereichert, dass du uns daran teilhaben lässt!
Es ist wirklich eine besondere Erfahrung und ich dachte ein kleiner Einblick, was sich so im Alltag in so einer Situation tut, kann mal ganz interessant sein. Lg, Sabine
Ja, das ist es definitiv! Fremd für mich, die es nie erlebt hat, umso mehr schätze ich diese Erzählungen.
Freut mich zu hören. Es ist besser wenn einem solche Erfahrungen fremd sind und am besten auch fremd bleiben. Lg, Sabine
Kann mir gut vorstellen, dass einiges sehr bedrückend war und betroffen macht!
Es ist eine bedrückende Lage und vor allem für die, die im Süden leben – ich hoffe es wird bald wieder Ruhe einkehren!
Ich hoffe sehr mit!
nun hat der name des blogs eine andere praktische bedeutung bekommen.
alles Gute, bracha 🙂
Allerdings!! תודה רבה, שלום וברכה
Liebe Sabine,
das ist wohl der in jeder Hinsicht beeindruckendste Deiner Berichte. Diese permanente Angst und Unsicherheit kann man sich als nicht direkt Betroffener wahrscheinlich gar nicht vorstellen . Umso wichtiger, dass Du hier Deine Erfahrungen schilderst.
Als jemand, der sich sehr eingehend mit dem Holocaust und seinen Folgen beschäftigt hat und der die Situation im von uns so genannten Nahen Osten versucht, sehr genau zu beobachten, kann ich mich aber auch des Gedankens nicht erwehren, wie es wohl den Menschen im Gaza-Streifen geht, von denen der Großteil sich ja auch nichts sehnlicher wünschen, dass endlich Frieden ist. Und die eher keine Möglichkeit haben, vor den gnadenlosen israelischen Angriffen wenigstens in einen Bunker flüchten zu können, sondern die von der Hamas gerne als menschliche Schutzschilde missbraucht werden.
Zum Thema Frieden zwischen Israel und Palästina hat übrigens der von mir sehr geschätzte Autor Etgar Keret vor ein paar Tagen hier http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/nahost-konflikt-wartet-nicht-auf-den-frieden-macht-ihn-13038661-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 einen sehr lesenswerten Artikel veröffentlicht.
Liebe Grüsse, Kai
Lieber Kai, vielen Dank für den Artikel – ich fand ihn sehr interessant und kannte den Autor noch gar nicht. Das Thema Frieden ist wohl keine einfache Sache. Wir haben hier das Glück in einem Staat zu leben, der das menschliche Leben als höchstes Gut schätzt und für die Sicherheit seiner Bürger sorgt. Die Menschen im Gazastreifen leiden unaussprechlich und wenn ich mir vorstelle, das man in unser Haus hier Raketen bringt, sie in den Keller stellt und uns dann noch anweist, jegliche Warnungen zu missachten, weil – wie du schon sagst – die Hamas ihre Bürger noch als menschliche Schutzschilde missbraucht, fehlen mir die Worte. Viele sehnen sich danach, frei zu sein, ein ruhiges Leben zu führen und nicht von einer Terrorgruppe beherrscht, jedoch dies frei auszusprechen kostet ihnen das Leben. Frieden ist nichts das einfach vom Himmel fällt – das stimmt. Frieden zu halten allein in unserem privaten und kleinem Umfeld ist schon nicht immer leicht, wieviel schwerer ist es im Großen… Lg, Sabine
2012, da war ich gerade am Shuk, da hatte ich mich – so wie die anderen auch – an eine Hauswand gestellt. Diesmal halten wir es, wie es auch gesagt wird, dass wir einen Stock tiefer ins Treppenhaus gehen. Da sitzen wir dann mit den anderen Nachbarn und warten ab. Leicht ist es nie.
Ich war auch hier, als der Yom Kippur Krieg losging, meine Schwester war damals hochschwanger. Damals sind wir aber alle in den Luftschutzkeller.
Ich wohnte schon hier mit Kindern, als wir ein Zimmer abdichten mussten und die Masken tragen mussten. Gewoehnen, das kann man sich absolut NICHT an die Sirenen. Das ist jedesmal wieder wie ein Schock.
Wahnsinn, da hast du ja auch schon deine Erfahrungen gemacht. Leicht ist es sicher nie und jede Sirene lässt einem den Atem stocken. Ich hab auch gehört von der Zeit als man immer die Maske mithaben musste – unvorstellbar was es für ein Gefühl sein muss, alles abgedichtet zu haben, die Maske zu tragen und zu warten … vor allem wenn ich bei den Holocaustüberlebenden sitze, habe ich mir schon oft gedacht, das es unvorstellbar ist was sie alles mitgemacht haben, nicht nur im Zweiten Weltkrieg sondern auch danach, viele Kriege, viele Unruhen und was der Sirenenklang für Erinnerungen in Ihnen weckt – nicht auszudenken…
es ist absolut nicht leicht, man gewoehnt sich ja nciht an die Sirenen.
stimmt! Die Sirenen sind jedesmal wie ein Überfall im Leben, die einen kleinen Schock hinterlassen – was für ein Wahnsinn es sein muss für die Menschen die im Süden wohnen und jeden Tag mehrere Male so aus der Routine gerissen werden – einfach schrecklich!
ich haette Angst dort zu wohnen
ich auch, stelle es mir schrecklich vor, diese Häufigkeit der Sirenen und auch die viel kürzere Zeit um sich in Sicherheit zu bringen – der blanke Horror
Ein wirklich eindrucksvoller Bericht und ich muß sagen ich bin dankbar, daß ich hier lebe. FRIEDEN? Was ist daran nur so schwer, warum hört der Haß nicht einfach auf?
LG, Petra
Hi petra, eine gute Frage, warum hört der Haß nicht einfach auf? Eine Frage die man sich wohl durch die Jahrhunderte stellen kann und nicht so einfach eine Antwort finden wird. Was ist so schwer am Frieden? Eigentlich sollte es nicht schwer sein, jedoch gehören dazu immer zwei Seiten und solange eine Seite nicht dazu gewillt ist, wird es keinen Frieden geben – das ist leider unsere traurige Realität. Lg, Sabine