Es ist nun schon eine Weile her, dass ich euch von #Hilde berichtet habe. Nun wird es endlich Zeit, dort anzuschließen und wie versprochen euch den nächsten in der Runde vorzustellen. Der erste in der Reihe ist der Herr, der kurz vorbeigeschaut hat, bei unserem kleinen Treffen. Regina flüsterte mir damals kurz zu, dass es Simcha Appelbaum wäre und er eine großartige Geschichte hätte.
Ich habe ihn nur kurz gesehen, als er nett grüßte und einige Dinge besprach mit Zwi und Piese, dem Mann von Hilde. Trotz dieses äußerst kurzen Treffens machte er mich neugierig und blieb mir in lebendiger Erinnerung. Jetzt viele Jahre später habe ich nachgeforscht und ihn gefunden und auch seine Geschichte, von der ich euch heute berichten möchte.
Geboren wurde Simcha am 6. Oktober 1927 in der Stadt Malcz im Landkreis Pyrzycki, der heute zu Weißrussland gehört. Aufgewachsen ist er dort mit seinen Eltern Jakob und Rachel sowie seiner älteren Schwester Ella in einem traditionell jüdischen Elternhaus. Im November 1941 wurden Simcha und seine Familie nach LaBersa-Kartoshka durch die deutschen Besatzer deportiert. Als sie erfuhren, dass die Juden der Gegend ermordet werden, flüchteten sie zum Ghetto Pyrzycki. Simcha schloss sich ein halbes Jahr später einer jüdischen Jugendgruppe an, die durch die Wälder zog, um sich den Partisanen anzuschließen. Bei einer Besorgungstour wurden viele seiner Freunde erschossen, er konnte flüchten und kehrte zurück zu seinen Eltern. Sie wurden, als das Ghetto im Januar 1943 liquidiert wurde, nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Außer Simcha wurde dort seine ganze Familie ermordet. Simcha gab ein höheres Alter an (er war tatsächlich erst 16 Jahre alt) und wurde daraufhin zur Zwangsarbeit eingezogen. Häftling Nummer 98524 war er von da an und musste schwerste Arbeiten verrichten. Bei einer dieser Arbeiten wurde er schwerstens geschlagen und verlor dabei die Hälfte seiner Zähne und wurde ohnmächtig.
Im September 1943 wurde er zu einer Munitionsfabrik verlegt und einige Monate später in eine Siemens-Fabrik im naheliegenden Lager Bobrik. Im Januar 1945 fand sich Simcha im Todesmarsch nach Gleichwitz wieder. Von dort verfrachtete man ihn und andere Überlebende in offenen Frachtwaggons nach Westen. Es war Winter und eisig kalt. Als der Zug die Tschechei erreichte, sprang Simcha vom Zug und es gelang ihm die Flucht. Einige Wochen lang konnte er sich mit Hilfe örtlicher Bauern verstecken. Dann wurde er durch die Gestapo gefasst, gefoltert und in das KZ Buchenwald und von dort nach Sachsenhausen deportiert.
Am 22. April marschierte Simcha bereits seinen zweiten Todesmarsch in Richtung des baltischen Meeres unter der Bewachung der SS. Während des Marsches gelobte Simcha, dass wenn er überleben werde, er in das Land Israel gehen würde, um dort einen Ort zu errichten zum Gedenken an seine Eltern und alle Familienangehörigen, die in der Schoah ermordet wurden. Er nahm sich fest vor, sich den Schutztruppen der jüdischen Bevölkerung im Land Israel anzuschließen.
Am 3. Mai 1945 wurden die Überlebenden des Todesmarsches von den Truppen der US-Armee unweit Schwerins befreit. Nach der Befreiung schloss sich Simcha dem Kibbuz Buchenwald in Deutschland an. Im März 1946 kam Simcha mit dem Schiff „Tel Chai“ der illegalen jüdischen Einwanderung in Israel an.
Anschließend hat ihn der Kibbuz zum Korporal-Kurs der jüdischen Untergrundbewegung „Hagana“ (die Verteidigung) geschickt. Während des Unabhängigkeitskrieges Israels kämpfte er als Soldat in der Brigade Giv‘ati und der Negev-Brigade an der Südfront Israels.
Am 18. Juni 1948, während der ersten großen Waffenruhe („Hafuga הפוגה“), vor der Operation „Dani“ im Zentrum des Landes ging Simcha Appelbaum als Befehlshaber mit weiteren 16 Mitgliedern des „Kibbuz Buchenwald“ zu der „Spohn-Farm“ bei Beer Yaakov. Es war damals die vorderste Frontlinie gegenüber der damals arabischen Stadt Ramla. Zudem bestand die Gefahr, dass sich irakische Truppen der jordanischen Legionsarmee anschlossen, um „bei der von ihnen erhofften Vertreibung der Juden dabei zu sein“.
Diese Gruppe legte das Fundament zur Gründung des dortigen Kibbuz Netzer. (Im Jahre 1952 wurde der Ort nach einer Sondergenehmigung der Knesset (des israelischen Parlaments) von Kibbuz „Buchenwald / Netzer auf „Kibbuz Netzer Sereni“ umbenannt. Im Jahre 2020 lebten im Kibbuz ca. 600 Menschen.
Simcha Appelbaum nahm an allen Kriegen Israels einschließlich des Jom-Kippur-Krieges teil. Er gehörte zu den Reservisten, die die schwer angeschlagene Panzer-Brigade „Barak 188“ wiederaufgebaut haben. Er hat den Rang eines Oberst der Reserve erreicht. Simcha gehörte zu den Initiatoren und Organisatoren der Errichtung der Gedenkstätte für die vielen Opfer der Brigade im Rahmen der zentralen IDF-Panzer-Gedenkstätte in Latrun.
Der heldenhafte Einsatz von Simcha Appelbaum im Jom Kippur Krieg im Oktober 1973 wurde durch den in Israel bekannten Journalisten Aharon Bachar in der Zeitung Yediot Achronot (heute mehr als YNET bekannt, Bild siehe Header) als Augenzeugenbericht veröffentlicht. Als Simcha traumatisierte Panzersoldaten unweit des IDF Golan-Hauptquartiers liegen sah, rief er sie dazu auf, in die neuen Panzer einzusteigen, bevor die Syrer kommen würden. Die unter schwerem Schock der furchtbaren Erlebnisse der ersten Tage stehenden Soldaten sind apathisch liegen geblieben. Ahron Bachar berichtete, wie Simcha mit ruhiger Stimme die niedergeschlagenen Soldaten ansprach:
„Ich bin nicht mehr so jung. Es ist bereits mein vierter Krieg hier im Land. Das Schlimmste war in Europa. Sie haben meine Eltern und meine ganze Familie genommen. Wir konnten uns nicht wehren. Wenn Ihr fragt, was macht so ein alter Kerl hier, so sage ich Euch: Ich mache Euch keine Vorwürfe. Aber, ich kämpfe. Ich kämpfe, damit Euch und unseren Kindern nicht das widerfährt, was uns passierte.“
Die Soldaten konnten auf seinem linken Arm die tätowierte Nummer aus Auschwitz sehen. Ohne Worte, stand ein Soldat nach dem anderen auf. Sie kletterten auf die neu gebrachten Panzer, die ihre zerstörten und abgeschossenen Panzer ersetzten. Sie verschwanden im Rauch der Motoren in Richtung Front. Als die Truppe sich im Juli 2020 getroffen hat, haben die Überlebenden von damals bezeugt, dass sie ihr Leben auch dem Simcha verdanken, der ihnen mit seinem persönlichen Exempel wieder Mut und Lebenswillen einhauchte. Für sie ist Simcha ihr Held des Jom Kippur Krieges.
Simcha Appelbaum ist mit Naomi verheiratet. Ihre drei Töchter schenkten ihnen 9 Enkelkinder. Allesamt dienten oder dienen noch heute in Fronteinheiten der IDF. Im Jahre 2019 publizierte der israelische Schriftsteller Yigal Shachar ein Buch über die außerordentliche Lebensgeschichte von Simcha und Naomi Appelbaum. Das Buch heißt „Lo al HaEtz lewado“. Der Buchtitel ist eine hebräische Anspielung sowohl auf das Bibelwort aus dem Buch „Dewarim“ (5. Mose), Kap. 8, Vers 3, wonach der Mensch nicht nur vom Brot lebe. Ferner ist der Buchtitel eine Anspielung auf den Namen des Kibbuz Netzer Sereni. Das Wort Netzer bedeutet auf Deutsch ein Spross bzw. ein Schössling, der aus einem abgeholzten Baum einen neuen Ast hervorsprießen lässt. Der Name des Kibbuz stammt aus dem Wort „Netzer“ aus Jesaja, Kap. 11, Vers 1, in dem die Verheißung steht, dass der Messias als Spross aus dem Hause David hervorgehe. Und schließlich spielt der Buchtitel auf die Biografie von Simcha an: Der Junge, der vor der deutschen SS in europäische Wälder geflohen war, war für die Pflanzung von Orangen- und Avocado-Plantagen im Kibbuz zuständig und leitete Jahrzehnte die Kibbuz-Möbelindustrie. Der Baum und Holz sind zentrale Elemente in seinem Leben.
Ein kurzes Treffen, ein großer Eindruck, den Simcha hinterlassen hat. Schade, es war damals nicht mehr Zeit mit ihm zu sprechen. Doch freue ich mich etwas über sein Leben herausgefunden zu haben und nur zu gut verstehe ich jetzt Regina und was sie meinte als sie sagte: „Das ist Simcha Appelbaum, auch er hat eine ganz besondere Geschichte.“
Quelle: Auszüge aus https://www.jewiki.net/wiki/Simcha_Appelbaum
Header: Artikel Yediot Achronot aus dem Jahr 1974
© Sabine Bruckner
Ich habe das mit einer Gänsehaut, die dich über meinen Körper zog, gelesen. Besonders schlimm ist, dass es momentan politisch ganz und gar nicht gut für Israel aussieht.
Danke dafür, dass du mich hast teilhaben lassen….
Und lass uns die Daumen drücken, dass Israel und der Gazastreifen sich wieder beruhigen.
LG Bea