Neue Wege

Das Land befindet sich in Festtagsstimmung, denn gestern Abend startete das jüdische neue Jahr und wir feiern Rosh Hashana. Familien und Freunde sammeln sich zu großen Festgelagen und man stopft haufenweise Äpfel mit Honig und anderes süße Zeug in sich hinein, dies steht symbolisch für ein süßes neues Jahr. Die Diäten beginnen dann  nach den Feiertagen – wobei hierzulande nach den Feiertagen immer vor den Feiertagen ist, aber das ist eine andere Geschichte.

Ein neues Jahr steht also vor der Tür. Eine Gelegenheit, sich zurückzulehnen und über das alte Jahr nachzudenken. Was hatte es für einen bereit, was ist Gutes passiert, was Schlechtes, wofür ist man dankbar, womit zufrieden und womit nicht … und schneller als es einem lieb ist klopfen schon die guten Vorsätze an die Tür und fordern Einlass, wobei uns meist bewusst ist – ihr Aufenthalt bei uns wird  kurz und bald vergessen sein. Dennoch können wir selten davon ablassen, ihnen Eintritt zu gewähren. Sie schaffen eine gewisse Zuversicht und Hoffnung und zeugen von unserem Wunsch, uns zu verbessern und zu wachsen, um im Leben voranzukommen.
Warum scheitern wir nur allzu oft an der Umsetzung? Vielleicht nehmen wir uns einfach zu viel vor, vielleicht sind wir zu streng mit  uns oder vergessen sie einfach, wenn der Alltag über uns hereinbricht. Was also tun?

Vor drei Wochen bin ich wieder in Israel angekommen. Für mich ein neuer Lebensabschnitt, der viele Spannungen und Ungewissheiten mit sich bringt, aber wer nichts wagt, der nichts gewinnt – also auf ins Abenteuer. Ich wollte mir immer Zeit nehmen, um die Landessprache endlich wirklich zu erlernen und habe mich für einen Intensivkurs eingeschrieben, Jetzt versuche ich mir die Sprache ins Gehirn zu schlagen – es ist wunderbar.
Mit mir im Kurs befinden sich zum größten Teil lauter Neueinwanderer aus aller Welt und von einem Mädchen aus meiner Klasse möchte ich euch kurz erzählen. Sie ist gerade mal 17 Jahre alt und vor zwei Wochen in Israel eingewandert. Sie ist in L.A. aufgewachsen und ihre Eltern stammen aus dem Iran. Sie hatte eigentlich alles geplant für ihre Zukunft, war auf einer guten Universität in New York angemeldet – hatte ihre Unterlagen, ihr Zimmer, alles war organisiert und bezahlt und kurz vor Semesterbeginn hat sie sich kurzerhand entschlossen, doch nach Israel auszuwandern, um dort ihren Dienst in der Armee zu leisten und sich ein neues Leben aufzubauen. Eine spontane Entscheidung par excellence. Aufgefallen ist sie in der Klasse gleich in den ersten Tagen. Am Wochenbeginn stellte die Lehrerin die Frage, was wir am Wochenende gemacht hätten. Wie langweilig und normal unsere Antworten waren, trat erst zutage, als das Mädchen an der Reihe war. Sie erzählte, dass sie Fallschirmspringen war. – WOW! Dies löste erstmal eine Flut von Fragen aus – Hattest du keine Angst? Was hat deine Mutter dazu gesagt? Kostet das nicht schrecklich viel? usw. … Die Lehrerin fragte, wie sie auf die Idee gekommen sei, woraufhin sie sagte, dass es auf ihrer „Löffelliste“ stehe und sie sich vorgenommen habe, einmal im Monat etwas von der Liste zu machen. Erstaunen füllte die Klasse. LÖFFELLISTE?? – Die Lehrerin fragte etwas verdutzt: „Wie alt bist du?“ Darauf das Mädchen: „17“ – „17! und du arbeitest an deiner Löffelliste? Dafür hast du doch noch 100 Jahre Zeit!!“ meinte die Lehrerin. Das Mädchen lächelte und erwiderte: „Aber man weiß doch nie, wieviel Zeit einem bleibt!“

Ich muss ehrlich zugeben, dass mich das sehr beeindruckt und auch noch eine Weile beschäftigt hat. Dieses Mädchen hatte etwas begriffen. Wir alle haben unsere Listen, Dinge die wir mal machen, Orte, die wir gerne besuchen und Abenteuer, die wir erleben möchten, aber auf später aufgeschoben haben. Natürlich ist nicht immer alles gleich umsetzbar. Für manches fehlt die Zeit, für manches das Geld, des Öfteren fehlt es einfach an Mut, oder die Faulheit hält uns auf der Couch gefangen. Wie unsere Vorsätze fürs neue Jahr verhält es sich mit unserer Löffelliste – es bleiben Vorsätze anstatt Taten zu werden. Also habe ich, auch wenn ich kein Freund von Neujahrsvorsätzen bin, einen Vorsatz gefasst – anfangen über meine Löffelliste nachzudenken und auch über realistische Ziele, sie umzusetzen. Dieses Mädchen hat sich eine Zeit gesetzt und so setzt sie die Dinge um – sie verliert ihr Ziel nicht aus den Augen. Wenn ihr neugierig seid, was ihre nächsten Ziele sind, so sei kurz gesagt, dass sie in zwei Wochen nach Eilat fährt, um mit den Delphinen zu schwimmen und im Februar einen Marathon laufen will, für den sie jetzt schon trainiert. Natürlich kann man größere Dinge nicht jeden Monat machen, aber man sollte sie im Blick behalten und auch die kleinen Dinge auf der Liste nicht vergessen.

So habe ich mich hingesetzt und eine Löffelliste verfasst, die an dieser Stelle natürlich nicht verraten wird – jeder finde seine eigene Liste 😉 und auch kommen jeden Tag neue Ideen dazu. Wenn man erstmal damit anfängt, füllt sie sich wie von alleine mit Ideen. Einen Punkt will ich euch nicht vorenthalten, um zwar habe ich mir für dieses Jahr vorgenommen, neue Wege zu gehen. Wir sind oft so eingefahren auf unsere Gewohnheiten, die Wege die wir gehen, die Lokale oder Orte die wir aufsuchen, die Dinge die wir machen, die Menschen die wir treffen, dass es uns nicht einmal auffällt. Deshalb starte ich einen Eigenversuch und habe mir vorgenommen, jede Woche etwas Neues zu entdecken. Es muss kein großer Fund sein, keine Sensation – einfach ein Platz, an dem ich nie war, oder etwas tun, das ich nie getan habe. Was sich dabei finden wird – ist ungewiss, aber einen Versuch ist es wert und eine Gelegenheit, meine neue Theorie zu testen, dass man Dinge eher tut, wenn man sich Ziele steckt. Damit ihr auch sehen könnt, was dabei rauskommt, gibt es hier ab nächster Woche eine neue Kategorie: The Week’s Discovery – dort stelle ich euch jede Woche meine Neuentdeckung vor – was auch immer das sein wird – man darf gespannt sein 😉

In jedem Fall ist es wert über die Löffelliste nachzudenken, bevor wir unseren letzten Tag kommen sehen und mit einer vollen Liste anstatt einem erfüllten Leben unseren letzten Atemzug tun.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein süßes und erfülltes neues Jahr, voll Glück, Gesundheit und Zufriedenheit und voll von Abenteuern, die uns ein Lächeln ins Gesicht zaubern und unser Leben lebenswert machen.

שנה טובה
Shana tova!

Ein empfehlenswerter Film zum Thema „Löffelliste“ findet sich hier: „The Bucket List“ 

© Sabine Bruckner

11 Gedanken zu “Neue Wege

  1. Beeindruckende Geschichte. Dass du aber wieder in Israel bist, ist doch auch was. Ich meinte, so ganz unkritisch ist das nicht, nachdem du von den Luftangriffen seinerzeit berichtet hast.
    The Bucket List ist ein mehr als sehenswerter Film, da stimme ich zu. Und ich meine, je älter man wird desto eher spürt man, was man vielleicht versäumt hat. Ich empfinde es aber auch als schwieriger, da auszubrechen, da man doch sehr in allerlei Zwängen hängt.
    Einfach nicht mit dem Denken aufhören, dann wird das vielleicht noch was…
    🙂

    • Ja denken hilft schon gehörig und ist immer der Anfang von dem, was wir am Ende auch tun. Israel ist bei mir ein großer Punkt auf meiner Löffelliste – du siehst ich arbeite schon länger dran und auch das war nicht von Anfang an so leicht umsetzbar. Jedoch solange man seine Träume nicht aus den Augen verliert ist alles möglich und solange wir atmen, nichts zu spät.

  2. Liebe Sabine, das ist so wahr was du schreibst und Nachdenkens wert über seine eigene Löffelliste und Mut machend. Schön, dass Du wieder in Israel bist. Wo wohnst du jetzt und gehst du noch Arbeiten? Bin gespannt auf die Wochen-Entdeckungen. Liebe Grüße Sonja

    • Hallo Sonja, danke für das Feedback. Ich wohne noch ein paar Wochen in der alten Wohnung. Arbeiten tue ich im Moment nur an der Sprache, ansonsten habe ich alles abgeschlossen. Ich bin auch schon gespannt auf die Wochen-Entdeckungen und wir werden sehen was da rauskommt 😉 Hoffe euch geht es gut! – Alles Liebe, Sabine

  3. LIebe SAbine,
    Manchmal bleibe ich auf meinemneuen Weg stecken. Dein neuer Beitrag kam zum rechten Moment fuer mich, zumal ich erst jetzt von nen Synagogen hiner in der Naehe giert habe, die mich denken angregt hatten.. es war wieder eine Freude fuer mich ueber Deien NeuenWege zu hoeren und das zu weiter schreiben wirst.

    Ich wuensche Dir ein glueckliches erfolgreiches Jahr.

    Inge

    • Liebe Inge, es freut mich wenn mein neuer Beitrag gerade im rechten Moment kam und ich wünsche dir alles Gute auch auf deinen neuen Wegen und hoffe dir geht es gut. Alles Liebe und ein gutes neues Jahr!! Herzliche Grüße, Sabine

  4. Ich hoffe, Sabine, du hast die Feiertage gut verbracht und mit all dem Suessen nciht zuviel zugenommen. Wir waren mit Kindern und Enkeln udn Schwiegereltern meines Sohnes zusammen, haben alle zusammen gekocht und zusammen gegessen. Bei uns gibt es nciht soviel Suesses, ausser natuerlich Obst. Da wir alle nicht weit entfernt von einander wohnen, da ist es sehr praktisch.
    Deine neuen Wege gefallen mir. Wir waren ja schon einige Male weg fuer Shabbaton, in allen Moeglichen Laendern, haben damit auch sehr viele Ausfluege immer wieder verbunden, immer etwas Neues kennen gelernt, an Orten, an Menschen und mussten uns immer wieder auf etwas ganz Neues einstellen. Da wir erst vor einem halben Jahr von unserem letzten Jahr zurueck gekommen sind, da bin ich zur Zeit sehr sehr froh, einfach nur mit Kindern und Enkeln zu sein, und einen ganz normalen Tagesablauf zu haben.
    Alles Liebe an dich und ich hoffe, wir schaffen es wirklcih noch, dass wir uns treffen. Nach Sukkoth, da ist es dann wieder ruhiger

    • Hallo Vivi, es freut mich das du die Feiertage so gut verbracht hast, wirklich praktisch das die Familie nahe beisammen wohnt. Schön das du auch schon vieles gemacht hast – diese Dinge bereichern das Leben sehr. Ich kann dich aber auch gut verstehen das du dich über etwas Ruhe und normalen Tagesablauf freust – bei all dem Trubel sehne ich mich zuweilen auch danach aber man kann eben nicht alles haben. Ich hoffe sehr wir sehen uns bald – nach Sukkot ist eine sehr gute Idee. Bis dahin wünsch ich dir noch alles Gute und schöne Feiertage im Kreis der Familie!! Shana tova

  5. Liebe Sabine, Shana Tova!! Deine Erzählung hat mir sehr gut gefallen und besonders, daß Du wieder in Israel bist!! Schreibe bitte weiter, ich freue mich immer auf Deine Beiträge! Hoffentlich bis bald

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